Vom Applaus zum Abgesang?

Politische Frauenmatinée der Gleichstellungsstelle befasst sich mit Fragen rund um die Situation in der Pflege.

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v. l.: Moderatorin Julia Ures, Bürgermeister Michael Dreier, Dagmar Drüke, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Padebrorn, Gesundheits- und Krankenpflegerin Sonja Wolf, Ursula Berkemeier, Krankenschwester auf einer Intensivstation, Walburga Erichsmeier, stv. Bezirksgeschäftsführerin ver.di Ostwestfalen-Lippe, Britta Oellers, Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen sowie Mitglied des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Dr. Josef Düllings, Hauptgeschäftsführer der St. Vincenz-Kliniken und Präsident der Krankenhausdirektoren Deutschlands, sowie Brigitte von Germeten-Ortmann, Ombudsfrau in der Pflegeausbildung NRW.

Pflege ist noch immer weiblich besetzt: 75% des Pflegpersonals in Krankenhäusern sind Frauen. In Pflegeheimen sind es sogar 84%. Daher hat sich die diesjährige Politische Frauenmatinée der Gleichstellungsstelle der Stadt Paderborn intensiv mit Fragen rund um die Situation in der Pflege befasst und mit der Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um die Situation der Pflegekräfte zu verbessern.

Insbesondere die Zeit in der Pandemie habe vor Augen geführt, was bislang übersehen wurde: Die Arbeitsbedingungen in den Care-Berufen sind vielfach inakzeptabel. „Während der Pandemie hat sich die schlechte Lage in der Gesundheits- und Krankenpflege wie durch ein Brennglas verdeutlicht“, so Dagmar Drüke, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Paderborn.

Ursula Berkemeier, seit 32 Jahren Krankenschwester auf einer Intensivstation tätig in der Mitarbeitendenvertretung des St. Vincenz-Krankenhauses, betont, pflegerisch zu arbeiten bedeute „sich in einem Hamsterrad zu befinden, aus dem man nicht herauskommt und das sich auch nach der Arbeit weiterdreht.“ Denn die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verschärfe die Gesamtsituation: Die meisten Pflegekräfte seien Frauen und für diese ginge nach der bezahlten die unbezahlte Care-Arbeit weiter: Das Abendessen für die Familie kochen, noch schnell ein Geschenk für die Tante besorgen, Einkaufen mit der Großmutter, einen Arzttermin vereinbaren. Viele Beschäftigte arbeiteten aufgrund der hohen Belastung nur noch in Teilzeit. Wer in Vollzeit tätig sei, werde durch die Überlastung krank. Außerdem habe dies Auswirkungen auf die Rente der in Teilzeit Arbeitenden. Berkemeier fordert daher: „75 % Beschäftigung bei vollem Lohnausgleich.“ Besonders in der Pflege tätige Frauen stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. „Das wird ausgenutzt“, sagt sie.

Die Berufsflucht zeigt sich auch statistisch: 9.000 Pflegende sind im Jahr 2020 aus der Pflege ausgeschieden. Dabei sei die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen verhältnismäßig groß, so Brigitte von Germeten-Ortmann, Ombudsfrau in der Pflegeausbildung NRW. Junge Menschen äußerten jedoch vermehrt den Wunsch nach verlässlichen Arbeitszeiten. Dies müsse zukünftig besser in die Pflege integriert werden. Pflege dürfe außerdem als wertvolle Profession, und nicht als Akt der Nächstenliebe gesehen werden, für den vermeintlich insbesondere Frauen prädestiniert seien. Sie fordert „Pflege muss sich am Patientenbedarf orientieren. Sie muss auskömmlich und sicher finanziert werden. Dabei geht es nicht nur um die quantitative Ausstattung, sondern auch um die Unterstützung der Weiterentwicklung der Profession Pflege.“

Auch Sonja Wolf, Gesundheits- und Krankenpflegerin sowie Stationsleiterin einer Inneren Abteilung in einem Akutkrankenhaus und im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe engagiert sieht das Bild der „aufopferungsvollen Krankenschwester“ kritisch. Eine Beteiligung von Pflegepersonal an der Pflegepolitik zur Verbesserung der Situation in der Pflege sei wichtig, das Personal allerdings derart überlastet, dass es oftmals keine Kapazitäten dafür habe. Wolf spricht sich für einen unkomplizierteren Zugang zur Beantragung und Inanspruchnahme von Reha-Maßnahmen sowie gesonderte Rentenpunkte für in der Pflege tätige Personen aus.

Walburga Erichsmeier, stv. Bezirksgeschäftsführerin ver.di Ostwestfalen-Lippe, fordert, dass sich die Rahmen- und Arbeitsbedingungen dort schnellstmöglich verbessern müssen, damit Arbeitnehmer wieder gerne im Gesundheitswesen arbeiten. Sie betont zudem: „Gesundheit ist Daseinsvorsorge“. Es könne nicht nur um wirtschaftliche Aspekte gehen. Sie fordert daher eine einheitliche Bezahlung in der gesamten Branche, um Konkurrenz zwischen den Einrichtungen zu vermeiden.

„Das Thema Pflege ist in der Politik angekommen“ betont Britta Oellers, Landtagsabgeordnete, Vorsitzende des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen und Mitglied des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Das Ziel sei, der Pflege eine Stimme zu geben und sie positiv zu besetzen. Auch sie plädiert dafür, dass sich Pflegekräfte organisieren, um in den Austausch mit der Politik zu treten.

Foto: Stadt Paderborn/Saskia Albering

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