Landesregierung plant Kahlschlag bei Schutz der Mieter

Sie will alle Kommunen in Ostwestfalen aus den Mieterschutzverordnungen streichen

Aus einem Gutachten des Instituts empirica leitet die Landesregierung ab, dass der Wohnungsmarkt in keiner Kommune in OWL, also z.B. auch nicht in Bielefeld oder in Paderborn angespannt sei und dass die Mieter daher nicht schützenswert sind.

Bisher begrenzt die Kappungsgrenzenverordnung in Bielefeld und Paderborn Mieterhöhungen auf 15% innerhalb von drei Jahren. Außerdem verhindert die Mietpreisbegrenzungsverordnung, dass bei neuen Mietverträgen Mieten gefordert werden, die mehr als 10% über dem Mietspiegel liegen. Das soll sich nach dem Willen der Landesregierung ändern. Beide Städte sind im Entwurf der „Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs bundesrechtlicher Mieterschutzvorschriften im Land Nordrhein-Westfalen“, die die bisher geltenden Verordnungen zusammenfasst und ab Juli gelten soll, nicht mehr enthalten.

„Das ist ein Skandal und nicht hinnehmbar“, ärgert sich Veronika Rosenbohm, die Vorsitzende des Mieterbundes Ostwestfalen-Lippe e.V. „Die Landesregierung verkennt die tatsächliche Lage und verwendet veraltete und teils falsche Zahlen aus 2011 und rechnet sie einfach hoch. Das Gutachten ist für die Beurteilung der tatsächlichen Lage nicht zu gebrauchen.“
Thorsten Klute, Vorstandsvorsitzender der AWO OWL ergänzt: „Würdiges Wohnen ist ein Menschenrecht. Gerade jetzt, wo die Pandemie für so viel Verunsicherung sorgt, brauchen wir klare Zeichen der Stabilität. Auch für Mieterinnen und Mieter.“

Anke Unger, Regionsgeschäftsführerin des DGB OWL teilt die Verärgerung und weist darauf hin, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren und niedrigen Einkommen und auch Transferleistungsbezieher in wachsenden Städten wie Paderborn und Bielefeld kaum noch Wohnungen finden, die sie bezahlen können.

Die Verordnung setzt ein völlig falsches und gefährliches Signal. Sie macht die positiven Entwicklungen der letzten Jahre im Wohnungsbau, in der öffentlichen Förderung und die Anstrengungen der Städte zunichte.

Bielefeld und Paderborn sind aus vielen Gründen nicht mit Köln oder anderen sogenannten Schwarmstädten vergleichbar. Ziel der Politik muss aber sein, rechtzeitig einzugreifen, damit die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt sich nicht genauso katastrophal entwickeln, wie in diesen Schwarmstädten. Noch kann in OWL gegengesteuert werden. Wir befinden uns in einem frühen Stadium der Anspannung. Das ist aber genau der richtige Zeitpunkt, um einzugreifen. Auch diese Lehre können wir aus der Bekämpfung der Covid 19 Pandemie ziehen. Die Verleugnung der Anspannung unter Zugrundelegung überholter, nicht belastbarer, politisch motivierter Statistiken kann nicht akzeptiert werden und wird wiederum dazu führen, dass Ostwestfalen-Lippe abgehängt wird. Die Landesregierung muss hier Ihre Verantwortung für das gesamte Bundesland wahrnehmen und nicht wieder einmal nur für die Rheinschiene.

Wir fordern daher

  1. Die Aufnahme von Bielefeld und Paderborn in die Liste der Kommunen, in denen die Verordnungen gelten.
  2. Prüfung, welche Kommunen in OWL auf Basis belastbarer aktueller Statistiken darüber hinaus in die Liste aufgenommen werden müssen.
  3. Erweiterung des Kriterienkatalogs zur Bestimmung angespannter Wohnungsmärkte um die beiden Indikatoren Entwicklung der Angebotsmieten und Abstand der Angebotsmieten zur ortsüblichen Vergleichsmiete.
  4. Berücksichtigung der absoluten Mietbelastung sowie der Bautätigkeit in Verbindung mit der Bevölkerungsentwicklung als Indizien für Anspannungssituationen bzw. -tendenzen.
  5. Berücksichtigung des aktuellen und künftigen Bestandes an öffentlich geförderten bzw. preisgebundenen Mietwohnungen sowie dessen bisherige Entwicklung.
  6. Abgleich der Leerstandsberechnungen mit kommunal erhobenen Leerstandsdaten.
  7. Veränderung der Aufnahmekriterien in die Gebietskulisse dahingehend, dass nicht alle Indikatorengrenzwerte erfüllt sein müssen. Beispiel: sehr niedriger Leerstand ohne Überschreitung der Grenze bei der Mietbelastungsquote bei Vorliegen weiterer Indizien.
Hintergrund:
Schon im Koalitionsvertrag hatte die Regierungskoalition vereinbart, dass Kappungsgrenzenverordnung und Mietpreisbegrenzungsverordnung aufgehoben werden.
Nach heftigem Protest insbesondere unseres Bündnisses passierte das nicht sang- und klanglos. Stattdessen wurde eine Überprüfung in die Wege geleitet. Dafür wurde das jetzt vorgelegte Gutachten in Auftrag gegeben. Das Vorgehen der Gutachter wirft in diesem Zusammenhang Fragen zur Objektivität auf. Die Gutachter beschränken sich bei der Beurteilung der Frage, ob ein angespannter Wohnungsmarkt besteht, auf die Leerstandsquote und die durchschnittliche Mietenbelastung. Die im Gesetz genannten weiteren Kriterien - Bevölkerungswachstum bei nicht ausreichender Neubautätigkeit und überdurchschnittliche Mietensteigerungen - lehnt das Institut ab und behauptet, sie sprächen nicht für einen angespannten, sondern allenfalls für einen sich anspannenden Markt. Diese Einschätzung geht an der gelebten Wirklichkeit vorbei und verkennt die Ziele der Verordnungen. Die Verordnungen sollen gerade verhindern, dass die ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gefährdet wird. Sie sollen nicht erst dann greifen, wenn die Versorgung schon nicht mehr gegeben ist.
Zwar sind die Mieten in Ostwestfalen-Lippe niedriger als beispielsweise in Köln oder Münster. Die sehr ländlich geprägte Region ist aber auch nicht mit diesen Städten vergleichbar. Trotzdem sind in den letzten ca. 5 Jahren besonders die Angebotsmieten deutlich und teils auch stärker als beispielsweise in Münster gestiegen. So in Paderborn und Bielefeld.
Die Prognosen früherer Jahre, dass die Städte in Ostwestfalen-Lippe schrumpfen würden, hat sich insbesondere für Bielefeld und Paderborn, aber auch in anderen prosperierenden Kommunen als falsch erwiesen. Stattdessen kam es hier in den letzten Jahren zu einer Umkehrung. Die Städte sind attraktiv und wachsen spürbar. Das hat den Druck auf den Wohnungsmarkt massiv erhöht.
Über viele Jahre hinweg erfolgte Wohnungsbau, auch wegen der niedrigen Kreditzinsen, fast ausschließlich im Hochpreissegment. Deswegen fehlen zunehmend Wohnungen im mittleren oder niedrigen Preissegment und auch im Bereich der öffentlich geförderten Wohnungen. Immer häufiger können sich nur noch Besserverdienende Wohnungen in den Städten leisten. Es entsteht ein erheblicher Verdrängungswettbewerb. Das kann sich auf lange Sicht auf den sozialen Frieden auswirken.
Dass die Gutachter die Mietpreisentwicklung ab 2004 heranzuziehen, um darzustellen, dass sie mit ca. 2,3% sehr gering sei, und gleichzeitig kaschieren, dass die Mieten seit 2010 aber um ca. 25% gestiegen sind, ist fragwürdig. Genauso fragwürdig ist, wenn aufgezeigt wird, dass in OWL die Mieten noch immer deutlich niedriger liegen als auf der Rheinschiene. Es stellt sich die Frage, ob damit ausgedrückt werden soll, dass die Politik erst dann tätig werden soll oder will, wenn die Verhältnisse schon katastrophal und eigentlich nicht mehr zu retten sind.
Die Leerstandsquote gibt das Gutachten für Bielefeld auf Grund einer Hochrechnung der Werte aus dem Zensus 2011, die bereits damals nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen, mit 4,1% auf an. Nach der Statistik der Stadt Bielefeld, die regelmäßig aktuell erhoben wird, liegt die Leerstandsquote bei unter 0,3%.
In Paderborn liegt die Leerstandsquote nach Angaben der Akteure auf dem Wohnungsmarkt im Wohnungsmarktbarometer jedenfalls höchstens bei 1,5% (im Extrem sogar bei 0,09%). Es ist absolut unverständlich und inakzeptabel, die aktuell zur Verfügung stehenden Daten nicht zu verwenden.
Auch diese Werte zeigen, wie fragwürdig das Gutachten ist und dass es daher auch nicht als Grundlage für Regierungshandeln herangezogen werden darf.
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