Patientenwohl bleibt auf der Strecke

Dr. Herbert Anheier kritisierte zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitswesen

Großer Andrang bei einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Linken Forums und der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB): Der ehemalige Chefarzt der chirurgischen Klinik des Paderborner Brüderkrankenhauses, Dr. Herbert Anheier, bekräftigte seine schon unlängst in seinem Buch "Arzt oder Ökonom – Wer hat das Sagen in unseren Kliniken?" geäußerte Kritik an der zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung im Gesundheitswesen. Der Kinderarzt Dr. Johannes Wolf (Linkes Forum) betonte in seiner Anmoderation jedoch, dass der Chor der Kritiker aus allen gesellschaftlichen Gruppen stetig größer werde.

Anheier sieht immer mehr Bereiche der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien organisiert. Wenn aber die Kosten-Nutzen-Rechnung zum einzigen Kriterium der Beurteilung des Wertes einer medizinischen Maßnahme werde, bleibe die Orientierung am Patientenwohl in aller Regel auf der Strecke. Eine "Entwertung des Ärztlichen" sei die Folge, Krankenhäuser mutierten von vormals sozialen Einrichtungen zu "Profitcentern". Aus Patienten, so Anheier, würden "Kunden", ein etwa auch aus der Arbeitsmarktpolitik bekannter Begriff. Anheier: "Der Kranke ist Gast und kein Kunde und sollte auch so betreut werden." Die überdurchschnittliche Zahl an Operationen in Deutschland im Vergleich der OECD-Länder könne eindrucksvoll verdeutlichen, dass es heute vornehmlich darum gehe, möglichst viel Geld aus den "Kunden" heraus zu holen. Andererseits betonte Anheier, dass eine notwendige Therapie niemals eine Frage der Kosten sein dürfe.

Ein besonderer Dorn im Auge sind Anheier die so genannten "Fangprämien" für Patientenzuweisungen, bei denen der Arzt von der aufnehmenden Klinik eine Vergütung erhält. Anheier fragte: "Ist die Provision das Entgelt für eine erbrachte Leistung oder nur eine diskrete Art von Bestechung?" Am Beispiel hoch lukrativer Privatkliniken verdeutliche Anheier, wie Krankenhäuser ihre Gewinne einzuheimsen imstande seien. An erster Stelle stünde die Selektion von Patienten; gut betuchte würden bei dieser Auswahl selbstverständlich bevorzugt. Sodann würden alle nicht vergüteten Leistungen aus dem Angebot gestrichen, die Rate an Operationen erhöht und zusätzliche Serviceleistungen ausgeweitet, zugleich Personalkosten gesenkt. "Das ganze System ist darauf ausgerichtet, möglichst hohe Renditen aus den Einrichtungen zu erzielen."

In der breiten Diskussion im Anschluss an Anheiers Vortrag wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass nicht einzelne, wie auch immer beklagenswerte Symptome mit den eigentlichen Ursachen für die Missstände im Gesundheitswesen verwechselt werden dürften. Letztere seien in der "neoliberalen Abwicklung" vieler gesellschaftlicher Aufgabenbereiche zu suchen, bei der die offizielle Politik willige Helferdienste leiste. Einzig anhaltender und lautstarker Protest von unten könne hier Abhilfe schaffen.

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